Konkrete Gegenwart. Jetzt ist immer auch ein bisschen gestern und morgen.

“Konkrete Gegenwart. Jetzt ist immer auch ein bisschen gestern und morgen” – so heißt die aktuelle Ausstellung im Haus Konstruktiv. Im Rahmen der Ausstellung, die vom 7. Februar bis zum 5. Mai in Zürich zu sehen ist, untersucht die Kuratorin und Museumsdirektorin Sabine Schaschl Beziehungen, die die Gegenwartskunst mit den Strömungen der konstruktiven, konkreten und konzeptuellen Kunst des 20. Jahrhunderts eingeht. Die Ausstellung nimmt alle vier Etagen des Museumsgebäudes ein und umfasst Werke von 34 schweizer und internationalen Künstlern und Künstlerinnen.

Otto Berchem and Amalia Pica. Mobilize, 2017

Lara Favaretto. Evidently Collapsed, 2013

Martin Soto Climent. Gossip, 2019

Diango Hernández. Cascadas, 2018

Chris Cornish. There is mystery everywhere, 2015

Schon die Vielfalt der Ausstellungskonzeption ist beeindruckend. Gleich zu Beginn stoßen die Besucherinnen in der Mitte der ersten Ausstellungs- Halle  auf eine weiße Plattform, auf der sich in geordneten Reihen 80 weiße Stühle befinden. Diese Stühle erscheinen, als ob sie soeben erst aus der Werkstatt her transportiert wurden – Staub, Späne und Sperrholzreste sind auf dem Boden verstreut. Designinteressierte erkennen sofort die Ähnlichkeit mit dem Stuhlmodell “Ant Chair” des dänischen Designers Arne Jacobsen, der seinen Namen aufgrund seiner Formähnlichkeit mit dem Kopf einer Ameise erhielt. Bei den hier ausgestellten Modellen handelt es sich jedoch um 80 nicht autorisierte und zudem leicht modifizierte Kopien. Es ist die Künstlergruppe SUPERFLEX, die hier ihr ‘Recht’ auf Nachbildung geltend macht. Mit der Installation “COPY RIGHT (weiße Version)” richten die dänischen Kunstschaffenden die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang zwischen Kunst, Design und Massenware.

SUPRERFLEX. Copy Right (white version), 2016

Im Nebenraum wird der Blick der Betrachterin von runden, in Größe und Farbe variierenden und auf zartrosa Hintergrund montierten Stahlplatten gefangen genommen, die den fröhlichen Titel “Good Vibe Gongs” tragen. Diese skulpturalen Objekte des Schweizer Künstlers David Renggli wurden in Handarbeit hergestellt. In farbenfroher und kreativer Weise orientiert sich die Arbeit des Bildhauers an traditionellen Gongs und Klanginstrumenten. Die Absicht hinter dem vibrierenden, komplexe Töne hervorbringenden Klang der “Good Vibe Gongs” liegt darin, positive Emotionen auslösen.

David Renggli. Good Vibe Gongs, 2018/2019

Noch bevor die Betrachterin die eigentliche Arbeit “Florenz-Bagdad” des deutsch-iranischen Künstlers Timo Nasseri  zu sehen bekommt, faszinieren die spielerischen Lichtreflexe auf Boden und Wänden, die aus dem kleinen Ausstellungsraum dringen. Im Innern ist der Raum mit dreieckigen Spiegelsegmenten unterschiedlicher Größe bedeckt, die ihn plötzlich viel größer erscheinen lassen. Es entsteht eine besondere optische Täuschung, die Menschen, Objekte und den Raum selbst auf immer neue Weise zerteilt, spiegelt und widerspiegelt. Das eigene Spiegelbild wird hier verzerrt und in Segmente zerlegt. So ermöglicht die Arbeit fortlaufend neue und unerwartete Perspektiven auf den alltäglichen Blick in den Spiegel. “Florenz-Bagdad” setzt den konstruktivistischen Grundsatz einer fragmentarischen Weltanschauung in der konkreten Materialität der Spiegel um. Nasseri nimmt hier  Bezug auf Hans Beltings Buch „Florenz und Bagdad“ und verbindet, wie vom Kunsthistoriker Belting beschrieben, westliche und östliche Kultur. Nasseri konzentriert sich auf Unterschiede und Wechselwirkungen zwischen westlicher und östlicher Kunst.

Timo Nasseri. Florenz-Bagdad, 2016

Der Künstler veranschaulicht, dass wir, egal wie sehr wir uns bemühen, nie das gesamte Bild sehen können. Die Betrachterin ist mit Bruchstücken konfrontiert, die immer neue Perspektiven und unendliche Kombinationsmöglichkeiten zulassen.