Zwischen Taumel und Ernüchterung

Ekstase im Kunstmuseum Stuttgart, 29.09.18 bis 24.02.19

Nach der ganzen Verausgabung, die das Kunstmuseum Stuttgart im Rahmen der Sonderausstellung Ekstase präsentiert, ist es eine Wohltat, schließlich alle Gliedmaßen der Schwerkraft hinzugeben und in den weißen Teppich zu sinken, mit dem La Monte Young und Marian Zazeela ihr Dream House (1990) ausgelegt haben. In lila Licht getaucht kommen die Besucherinnen hier zur Ruhe. Ihre Blicke schweifen über eine baumelnde Mobilekonstruktion aus lauter Cs, an der Wand angebrachte Kästen, die sich im Schein der Lichtspots doch zu regen scheinen, und der schmetterlingsförmig gespiegelten Neonschrift, die beständig Signale in den Raum morst. Mit sanftem Pulsieren in den Ohren fühlt es sich ein bisschen an, als würde man an einem riesigen Plüsch-Organ kleben. Dieser Moment ist rar in einer Ausstellung, die sich einer gesamten Bandbreite von Grenzerfahrungen zwischen Glück und Schmerz widmet, die im Begriff der Ekstase so schön evokativ zusammengefasst sind.

Passend zur Jahreszeit beginnt dieser Rundgang mit Darstellungen bacchantischer Züge, die bis ins 17. Jahrhundert und früher zurückreichen. Darunter versteht man keinen zahmen Faschingsumzug, sondern den periodisch wiederkehrenden Brauch, sich gegenseitig in den Wald zu Sex, Tanz und Trunkenheit zu zerren.

Ein nächster Raum führt in religiöse Ekstasen ein. Hier finden sich Darstellungen religiöser Hingabe von Heiligenschein bis Hologramm, nach innen gekehrter Augäpfel und erhobener Kopfkronen von Giovanni Battista Crespis Heiliger Franziskus in Ekstase (um 1598) bis zu den fotografischen Fundstücken religiöser Zusammenkünfte, die der kanadische Künstler Jeremy Shaw mit den Arbeiten Towards Universal Pattern Recognition (2016) in Plexiglas-Guckgläser kleidet.

Die Suche nach Universalität findet sich auch in der Konzeption der Ausstellung wieder. Rituelle Handlungen, die nicht einem christlich geprägten Kulturraum zuzuordnen sind, werden als Beispiele herangezogen, die dieses Außer-sich-Seins als anthropologische Konstante qualifizieren. So entsteht nur manchmal der Eindruck, dass dieser Ritt durch die Jahrhunderte und Kulturen zu Gunsten der großen Geste, die immer wieder auf ‚die‘ Menschheit zurückkommen mag, dazu neigt, Spezifizität zu übergehen. Bisweilen droht die Konzeption der Ausstellung so in die Kategorie des Beliebigen zu kippen, Ekstase als kulturelles Deutungsmuster, etwa in der Pauschalisierung von „Jugendkultur“ recht schnell bei der Hand zu sein.

Die Abteilung „Drogen“ widmet sich chemisch induzierten Ekstasen und Bewusstseinserweiterungen. Gemälde grüner Absinth-Feen reihen sich neben Fotografien Nan Goldins, der Chronistin so mancher Drogeneskapaden im New York der 1970er Jahre. Dieselbe Goldin ist letztens vor allem durch ihre Proteste gegen die Annahmen von Spenden der Sackler-Familie durch verschiedene Kunstinstitutionen in der Presse. Die Sacklers stehen hinter dem Pharmakonzern, der durch geschickte Vermarktung des Schmerzmittels OxyContin maßgeblich für die in den USA um sich greifende Opioid-Krise verantwortlich ist. Ohne den Moralzeigefinger zu erheben lässt dieser Zusammenhang zu, Ekstase eben nicht nur als gesellschaftlich eingeräumter Freiraum zu betrachten, dessen Überborden sanktioniert wird. Das Streben nach Ekstase spielt keine geringe Rolle für scheinbar, nüchterne‘ Geschäftserwägungen, die Menschen in sozial prekären Situationen ausnutzen und trägt somit dazu bei, bestehende gesellschaftliche Ordnungen und ungleiche Machtverhältnisse stabilisieren.

In Momenten physischer Verausgabung, die sowohl das Erleben im Kollektiv als auch die Grenzen des eigenen Körpers erfahrbar machen, gehen Ekstase und deren künstlerische Verhandlung die eindrücklichste Paarung ein.

So bleiben das Tanzen, Schwitzen und Wogen der Mengen in der Videoarbeit Fiorucci Made Me Hardcore (1999) von Mark Leckey, das die Betrachterin in die Raveabgründe des Englands der Postindustrialisierung führt, oder Marina Abramovics auf Video festgehaltene Performance Freeing the Body (1976), in der sich die Künstlerin zur vollständigen physischen Erschöpfung in einen Zustand mentaler Erlösung tanzt, besonders in Erinnerung. Rineke Dijkstras Arbeit The Krazyhouse (2009) erzeugt in der Betrachterin eine Art voyeuristisches Unwohlsein. In einem abgedunkelten Raum projiziert die niederländische Künstlerin Videoporträts fünf tanzender Teenager im Liverpooler Club Krazyhouse auf einen ortlosen, weißen Hintergrund. So unterschiedlich die Stile, mit denen sich Megan, Nicky, Simon, Philipp und Dee zu identifizieren scheinen, so formal ähnlich lässt die digitale Nachbearbeitung, mit der Dijkstra sie aus ihrer jeweiligen Umgebung herauslöst, ihre Erfahrungen erscheinen. Während die anfangs zurückhaltend zur Musik wippenden Porträtierten nach und nach alle Hemmungen fallen lassen und sich ganz hingeben, stellt sich zwischen Betrachterin und tanzendem Gegenüber ein merkwürdiges Verhältnis von Intimität und Fremdheit grundverschiedener Erfahrungsräume ein. Ein Besuch im Museum ist eben doch kein Schweißbad in zappelnder Menschenmenge.

So erinnert Dijkstras Arbeit auch daran: Ernüchterung liegt der Ekstase selten so fern, wie es ihre extremen Gemütszustände verheißen. Dieser Zustand schmerzlicher Glückseligkeit ist auf Dauer nicht tragbar, schnell glätten sich die orgiastisch verzerrten Gesichter, kauern die zurückgekehrten Bacchantinnen blutleer in irgendeiner moosgepolsterten Ecke. Vielleicht doch zurück ins Dream House, verschnaufen.

Vera Mader ist dabei, ihr Studium der Medienkulturforschung abzuschließen und bloggt manchmal hier: pappelxfesch.wordpress.com

 

 

Ein Gedanke zu „Zwischen Taumel und Ernüchterung“

Kommentare sind geschlossen.